Hessische Erfolgsgeschichte: Wie eine Großfamilie
Dieses Mal stellen wir anstatt einer Person bzw. Mannschaft das Skiinternat in Willingen vor.
Wie lange es das Skiinternat in Willingen schon gibt, weiß Werner Weigelt nicht so genau: „Gefühlt sind das ewige Zeiten, aber in der heutigen Form seit 2011“, sagt der Präsident des Hessischen Skiverbandes (HSV), der im Namen der Betreiber (HSV und Land Hessen) die Verantwortung für die stets gut besetzte Einrichtung im nordhessischen Upland trägt. Aktuell hat der ehemalige Gasthof zwölf Insassen aus den Sportarten Skispringen, Biathlon und Skilanglauf, womit die Kapazitäten für Einzelzimmer bereits erschöpft sind. Weigelt: „Das Internat ist voll, wir könnten momentan sechs Plätze mehr belegen.“ Der geplante Anbau, für den bereits Pläne vorliegen, soll in etwa drei Jahren umgesetzt sein und neben einem Kraftraum auch weitere Räumlichkeiten zum Lernen beinhalten.
Insgesamt wurden schon 31 Skisportlerinnen und Skisportler durch die Einrichtung geschleust, jedenfalls wenn das bereits in den frühen 70er Jahren existierende Vorgänger-Internat mitgezählt wird. Die jungen Talente kommen vorwiegend aus dem Vogelsberg oder der Gegend um Gersfeld (Rhön), doch werden auch Jugendliche aus anderen Bundesländern aufgenommen – aktuell etwa aus Niedersachsen und Sachsen-Anhalt. Sie alle müssen vor ihrem Einzug und der einhergehenden Aufnahme an der Uplandschule in Willingen bestimmte Voraussetzungen erfüllen: So dürfen die Noten im Durchschnitt nicht schlechter sein als Drei, und auch sportlich wird auf eine vorhandene Perspektive sehr großer Wert gelegt. An dieser Stelle kommt Jochen Behle ins Spiel. Der sechsmalige Olympiateilnehmer im Skilanglauf prüft, welches Potenzial die Internats-Anwärter haben. Darüber hinaus sucht der Sportdirektor der Leistungssport gGmbH, die für die Förderung des nordischen Skinachwuchses im Hessischen und Westdeutschen Skiverband zuständig ist, für den einzigen länderübergreifenden Bundesstützpunkt die Trainer aus. Behle koordiniert außerdem die Lehrgänge, kümmert sich um die Etatpläne und hat auch an der gesamten Saisonplanung großen Anteil.
Schwerpunkt Langlauf und Biathlon
Es ist also ein vielschichtiges Leistungspaket, das den Internats-Insassen geboten wird, die von der Sportstiftung Hessen unterstützt werden. Die junge Biathletin Lisa Witten (17) ist eine von ihnen. Sie ist sich bewusst, dass die Förderung sehr wichtig ist: „Sonst wäre es vielleicht gar nicht möglich, alles das zu tun, was ich jetzt mache.“ Witten und die anderen Talente im Internat, das seinen Schwerpunkt aktuell beim Biathlon und Skilanglauf der weiblichen Jugend hat, haben untereinander einen sehr guten Zusammenhalt. Immer wieder betonen die jungen Frauen, darunter auch die Langläuferinnen Lina Niebling und Luca Anna Weikard, dass in der Gruppe teils enge Freundschaften entstanden sind, die den frühen Abschied vom Elternhaus erleichtern. „Das Leben ist so ähnlich wie in einer Großfamilie“, bestätigt auch Werner Weigelt, der ausdrücklich betont, dass für die Jugendlichen bestens gesorgt wird. Im Internat gibt es eine mehrköpfige pädagogische Betreuung, hinzu kommen Lehrertrainer und Landestrainer. Weigelt: „Und wenn es schon mal Probleme gab – bisher haben wir immer alle Jugendlichen auffangen können.“
Hessische Erfolgsgeschichte: Stärke durch Konstanz
Dieses Mal den Weitspringer Oliver Koletzko, der als Hessischer Newcomer des Jahres 2020 geehrt wurde.
Ob im Sport oder in anderen Lebensbereichen – es sind nicht unbedingt viele Menschen, die von sich behaupten können, im Krisenjahr 2020 überdurchschnittlich erfolgreich gewesen zu sein. Oliver Koletzko (17) ist einer, der zu dieser Minderheit mit dazugehört, denn der junge Weitspringer aus Schmitten im Taunus hat aus nur ganz wenigen Wettkämpfen das Optimum herausgeholt. Angefangen hatte es bei der Deutschen Hallenmeisterschaft, wo er mit einer Weite von 7,53m als 16-Jähriger den Titel in der Altersklasse U20 gewann. Gleich zum Auftakt der verkürzten Freiluftsaison sorgte er dann bei einem Meeting auf der heimischen Anlage in Wiesbaden für eine weitere Spitzenleistung: Mit 7,72m stellte er einen neuen U18-Hessenrekord auf und blieb damit nur knapp hinter der über 20 Jahre alten nationalen Bestmarke (7,77m) zurück. Und auch bei allen folgenden Wettkämpfen präsentierte sich der Nachwuchsmann vom Wiesbadener LV als seinen Altersgenossen meist hoch überlegen. Seiner Favoritenrolle wurde er dementsprechend auch bei der Deutschen Jugendmeisterschaft im September in Heilbronn vollauf gerecht: Mit 7,47m holte er überlegen den Titel.
Trotzdem zeigte sich Oliver Koletzko von der Wahl zum Hessischen Newcomer des Jahres extrem überrascht: „Es war ja schon verwunderlich, dass ich überhaupt nominiert wurde. Als ich dann das Ergebnis erfahren habe, war das schon ne coole Sache, habe mich mega mega gefreut.“ Und sein Erfolgsrezept? Er erwähnt in diesem Zusammenhang das sehr gut abgestimmte Training mit seinem Coach Peter Roughi. Außerdem sei es während des Lockdowns auch wichtig gewesen, umzudenken und Alternativen zu den herkömmlichen Abläufen zu finden. Nicht zu vergessen das Durchhaltevermögen: „Manche Leute haben das Training dann nicht mehr so konsequent beibehalten“, sagt Koletzko, in dessen Freundeskreis sich vorwiegend andere Leistungssportler befinden. Untereinander habe man sich im Sommer aber auch gefreut, entspannt zusammenzusitzen und sich gegenseitig zu motivieren, trotz der Pandemie immer weiterzumachen.
Nahe am großen Sportkosmos
Oliver Koletzko, der die 11. Klasse der Adolf-Reichwein-Schule in Neu-Anspach besucht, fühlt sich im Hochtaunus wohl. „Das ist eine sehr ruhige und waldreiche Destination. Ich mag das Landleben“, betont der Basketballfan, der für die Förderung durch die Sportstiftung Hessen sehr dankbar ist. Zum Training in Frankfurt-Kalbach oder in Wiesbaden wird er derzeit noch von seinen Eltern kutschiert, doch bald schon wird er den Führerschein haben, Anfang diesen Jahres soll es schon soweit sein. Auch sportlich hat das Mitglied des Perspektivteams der Sportstiftung Hessen große Pläne. Wenn alles normal läuft, möchte er bei der DM wieder erfolgreich sein und darüber hinaus endlich auch international an den Start gehen. Die U20-WM und U20-EM sind seine Ziele. Freizeit bleibt bei diesem Programm natürlich nicht viel. Doch Oliver Koletzko zeichnet gern zur Entspannung und ist ansonsten auf Instagram sehr aktiv: „Das ist eine gute Möglichkeit, Kontakte zu knüpfen und mit dem großen Sportkosmos verbunden zu sein.“
Hessische Erfolgsgeschichte: Erstaunen über die eigene Leistung
Dieses Mal die Langstreckenläuferin Melat Kejeta, die überraschend Vizeweltmeisterin im Halbmarathon wurde.
Wenige Tage nach ihrem Silber-Erfolg bei der Halbmarathon-WM in Gdynia (Polen) war Melat Kejeta gar nicht gut drauf: „Bei dem Wettkampf war es kalt und da war so viel Wind. Davon bin ich erkältet.“ Wegen dem Wetter war die 28-jährige gebürtige Äthiopierin über ihre Leistung besonders verwundert: „Ich habe nicht erwartet, dass ich da so schnell bin. Eigentlich sollte das ein taktisches Rennen werden“, sagte die Vizeweltmeisterin, die in 1:05,18 Std. gleich bei ihrem ersten Rennen im DLV-Trikot einen deutschen Rekord aufgestellt hat (die alte Bestmarke von Uta Pippig hatte 25 Jahre Bestand). Für reine Frauenrennen bedeutet diese Leistung zusätzlich neuen Europarekord.
Kejeta (Laufteam Kassel), die 2013 aus Äthiopien kam und seit 2019 deutsche Staatsbürgerin ist, lebt in Baunatal und dort direkt am Waldrand. Das gefällt ihr sehr gut, doch sie verbringt auch gerne Zeit in Afrika. Für einige Jahre war ihr die Einreise in ihr Heimatland verwehrt, doch seit sie Deutsche ist, darf sie ihre Familie wieder besuchen. Warum sie weggegangen ist, mag sie nicht erzählen, nur dass sie als Langstreckenläuferin damals schon recht erfolgreich war. Vor allem im Halbmarathon hatte sie international bereits einige gute Ergebnisse erzielt. Von Beruf ist sie Friseurin, doch ihre Qualifikation wurde in Deutschland nicht anerkannt. Der Versuch, die Ausbildung nachzuholen, scheiterte am Laufen. Der Sport und eine Lehre hätten sich nicht miteinander vereinbaren lassen. Kejeta, die von der Sportstiftung Hessen vorübergehend Sozialbeihilfe erhalten hat, konzentriert sich nun komplett auf ihre Karriere. Und das macht durchaus auch Sinn, denn sie ist für die Spiele in Tokio bereits so gut wie qualifiziert. Beim Berlin-Marathon 2019, der gleichsam ihr Debüt über diese Distanz war, wurde sie in 2:23,57 Std. auf Anhieb Sechste und unterbot die Qualifikationsnorm für Olympia (2:29,30 Std.) deutlich.
Ein hohes Ziel und viele Unklarheiten
Dass sie in Bälde den deutschen Rekord von Irina Mikitenko (2:19,19 Std.) brechen kann, ist dann eine Frage, über die sie doch lachen muss. Nein, nein, ganz so schnell gehe das nicht. Und bei den Spielen in Tokio, da möchte sie einfach ihr Bestes geben, wobei die Top-Ten ihr Ziel ist. Wie es aktuell weitergeht, das weiß sie noch nicht, denn einen genauen Plan hinsichtlich Training und Wettkampf-Gestaltung gibt es nicht. Eigentlich möchte sie am Nikolaustag beim Valencia-Marathon mitlaufen, der wegen Corona als ein reines Eliterennen ausgetragen werden soll. Und sie möchte in Afrika für 2 bis 3 Monate überwintern. Dazu gehört dann natürlich nicht nur ein Familienbesuch, sondern auch ein Trainingslager in Äthiopien. Melat Kejeta, die in ihrer Freizeit gerne tanzt, wird sich – allen Widrigkeiten zum Trotz – ganz sicher nicht ausbremsen lassen.